Die Kathedrale errichten
©Carsten Somogyi |
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Vor langer Zeit, an einem feuchtheißen Nachmittag, verlässt ein einzelner Reisender die
sicheren Mauern einer mittelalterlichen Stadt. Als er etwa eine Meile vom Stadttor entfernt
ist, sieht er in der Ferne drei Männer langsam auf sich zukommen. Alle drei schieben eine
Schubkarre vollgepackt mit Steinen vor sich her. Als der erste Mann herankommt, fragt ihn
der Reisende: "Was machst du da?" Verärgert über diese überflüssige Frage, antwortet der
müde und durstige Mann: "Ich schiebe eine mit Steinen beladene Schubkarre!"
Als der zweite Mann näher kommt, stellt ihm der Reisende dieselbe Frage. Er erhält jedoch
eine andere Antwort: "Ich habe eine Frau und kleine Kinder, sie müssen essen, und ich
muss arbeiten, damit sie etwas zu essen haben." Der Reisende geht auf den dritten
Arbeiter zu und fragt ihn: "Was machst du da?" Dieser bleibt stehen, stellt die Schubkarre
ab und schaut den Fragenden an. In seinen Augen sieht der Reisende nicht nur
Erschöpfung und Müdigkeit. Er entdeckt einen Anflug von Stolz und Würde. "Was ich
mache? Ich baue eine Kathedrale!"
Welche der drei Antworten würden wir geben, wenn uns jemand nach unserer eigenen
Berufsarbeit fragt? Ich vermute, je nach Situation, nach unserem körperlichen Zustand bei
der Last und Hitze des Tages und nach unserer Stimmung werden wir uns in den Antworten
aller drei Männer wiederfinden. In jedem Beruf gibt es Momente, in denen man übermüdet
ist, es einfach satt hat, das man vor lauter Kleinkram den Überblick verliert. Entscheidend
aber ist: Welche innere Grundeinstellung habe ich zu meinem Beruf und meiner Arbeit?
Sehe ich einen Sinn in meiner Tätigkeit, oder ist sie nur ein Job, den ich für meinen
Lebensunterhalt brauche? Bei der gegenwärtigen Wirtschaftslage mit ihrer großen
Arbeitslosigkeit werden viele nicht größere Ansprüche stellen: Sie sind froh, dass sie
überhaupt eine Arbeit haben, die einigermaßen entlohnt wird. Auf die Dauer kann das aber
nicht befriedigen.
Die Antwort des zweiten Mannes in unserer Geschichte zeigt schon eine Dimension auf, die
tiefer ist: Die soziale Verantwortung. Er kann die Last des Tages tragen, weil er an seine
Familie denkt. Der dritte Arbeiter sieht ein großes Ziel in seiner Tätigkeit. Wenn auch sein
Anteil an dem großen Werk nur der ist, Stein für Stein herbeizukarren, ist sie doch wichtig
und sinnvoll. Und so kann er die Last und Mühe leichter ertragen.
(Verfasser unbekannt)
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