Das Märchen vom Kalifen
(Alles ist gut, so wie es ist)
©Carsten Somogyi |
Impressum
Es war einmal ein Kalif, der wollte gerne alle Weisheiten erfahren. Da ihn aber seine
Regierungsgeschäfte im Palast zurückhielten, schickte er jedes Jahr seinen Großwesir zu
einem Weisen im Lande damit er wieder eine neue Weisheit für ihn erlerne.
Jedes Mal wartete er voller Ungeduld auf die Rückkehr seines Großwesirs. Und als dieser
wieder einmal von einer Reise zurückkehrte fragte ihn der Kalif: „Nun, was hast du diesmal
für eine Weisheit mitgebracht?“ Der Großwesir antwortete nur: „Alles ist gut.“ „Ja schön“,
sagte der Kalif, „aber was hast du noch gelernt?“ Doch der Großwesir sagte wieder: „Alles
ist gut, so wie es ist.“ „Das mag ja sein“, erwiderte der Kalif, jetzt schon ungeduldig, „aber
welche Weisheit hast du denn noch mitgebracht?“ Doch der Großwesir antwortete wieder
nur: „Alles ist gut, so wie es ist.“ Da wurde der Kalif richtig zornig, denn damit war er gar
nicht zufrieden. Und um sich abzulenken, ließ er seinen Barbier rufen, damit der ihm den
Bart schneide. Weil der Kalif aber so wütend und unruhig war, schnitt ihn der Barbier aus
Versehen in die Wange. Da wurde der Kalif erst richtig wütend, und ließ seinen Barbier in
den Kerker werden. Seinen Großwesir aber fragte er: „Findest du auch das gut, dass mich
der Barbier jetzt in die Wange geschnitten hat?“ Der Großwesir antwortete aber wieder nur
ganz ruhig: „Alles ist gut, so wie es ist.“ Jetzt wurde der Kalif so wütend wie nie zuvor, und
ließ sogar seinen Großwesir in den Kerker werfen. Und um seine Ruhe wieder zu finden,
ließ er sein Pferd satteln, und ritt wütend immer weiter und weiter, ohne auf Weg und Steg
zu achten, immer weiter. Und kam so in das Land der Menschenfresser. Die fingen ihn ein,
und wollten ihn gerade fressen, da entdeckten sie den Schnitt in seiner Wange. Und
angewidert setzten sie ihn auf sein Pferd, und schickten ihn zurück, denn sie fraßen nur
makellose Menschen. Der Kalif ritt froh und dankbar wieder nach Hause und machte sich
Vorwürfe wegen seiner Ungerechtigkeit, denn erst jetzt erkannte er die Weisheit und wie
gut es war, dass der Barbier ihn geschnitten hatte. Als er im Palast angekommen war, ließ
er sofort den Barbier frei und öffnete selbst seinem Großwesir die Kerkertür und
entschuldigte sich immer wieder für seine große Ungerechtigkeit. Aber der Großwesir
antwortete wieder nur. „Alles ist gut, so wie es ist.“ Darauf sagte der Kalif: „Wenn ich nicht
immer noch so traurig und betroffen wäre, über meine Ungerechtigkeit, könnte ich jetzt
schon wieder wütend werden über diese Worte von dir. Was kann daran denn nur gut sein,
dass ich dich in meinem Zorn in den Kerker werfen ließ, nur weil du mir eine Weisheit
sagtest, die ich damals noch nicht verstand.“ Aber der Großwesir sagte wieder nur: „Alles
ist gut, so wie es ist“. Denn siehe, wenn du mich nicht hättest in den Kerker werfen lassen,
dann wäre ich selbstverständlich bei deinem Ritt, wie immer, an deiner Seite gewesen, und
mit dir gefangen worden. Mich hätten die Menschenfresser aber gefressen, denn mein
Körper ist makellos.“ Uns so erkannte auch der Kalif endlich, die große Weisheit: Alles ist
gut, so wie es ist.
(Verfasser unbekannt)
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